Donnerstag, 30. Juli 2015

Zwei Brüder


Herbert war ein eigentümliches Individuum. Solches zu sagen ist keinesfalls eine Übertreibung aber auch nicht als Versuch zu sehen jemanden besonders hervorzustreichen zu sehen. Nein, die Person von der hier die Rede sein soll ist ganz und gar ein Mensch und zwar eine, so wie ihn wohl Gott ursprünglich sich ersonnen hat bevor des Menschen Eitelkeit und Gewinnsucht danach strebte hervorzubringen, was niemals im Sinne der ursprünglichen Natur stand.

Von Kindesbeinen an das harte Leben in den Bergregionen des westlichen Österreich gewöhnt, in einer Zeit, als noch Hochachtung vor der Schöpfung und dem Menschen bestand und unser guter alter Kaiser, Franz Joseph I. das große Reich regierte, welches es von seinen Vätern ererbt hatte, die seit Urzeiten die Geschickte des Kontinents beeinflussten, war der einfache Mann dazu erkoren seinem eigenen Stern zu folgen und fern des Gewimmels der Welt zu tun, was er tun musste, was auch immer die Welt davon halten mochte. Eben dieser Herbert, wie wir unseren Helden nennen wollen, war ein Unikum, eine Gestalt die einsam vor der Weltgeschichte stand, wenngleich diese niemals von ihm Kenntnis erhalten sollte. Er stand mit dem ersten Hahnenschrei im Morgengrauen auf und ging mit den Hühnern schlafen, wie das Sprichwort so schon sagt. Der Pfarrer des kleinen Dorfes, zu den Füßen der hohen Berge, die noch bis in den Hochsommer hinein mit Schneefeldern bedeckt waren, hatte sein Äußerstes in die Wagschale gelegt um aus diesem der Natur allzu sehr dienlichen und hingegebenen Naturburschen einen braven Christenmenschen zu machen, was denn zu jenen längst vergangenen Zeit nichts anderes bedeutete, als dass er zur Zivilisation bekennen sollte und fern aller Herzensbestrebungen tun sollte, was seine „Pflicht“ eben gewesen sei und sich nicht mehr auf jene verderblichen Pfade begeben sollte, die das Heidentum sei unerdenklichen Zeiten verfolgte und das der Meinung der hohen Geistlichen Herren doch zu nichts anderem als zur ewigen Verdammnis führen konnte.

Doch genug von all dem theoretischen Geschwätz, von all den vielen Worten, die mehr verwirren, als dass die den Geist zu leiten vermögen, gerade dort wo ohnehin die Welt der Verwirrung genug tut und einen suchenden Geist mehr in die Irre als zum wahren Heil zu führen vermag.

Dieser Herbert war Jäger, das heißt im Grunde hatte er nie eine Lizenz zu diesem Gewerbe erlangt, sondern hatte sich dies Profession mehr selbst angeeignet und hielt sich mehr aus eigenem Recht heraus für befähigt Gottes tierische Geschöpfe allem Irdischen zuzuführen, nicht alleine um eine Trophäe in seiner bescheidenen Stube, über dem selbstgebauten Kachelofen, aufzuhängen, sondern vielmehr um die sechs Mäuler zu stopfen, die sein braves Weib in den letzten acht Jahren zur Welt gebracht hatte.

Doch was hier jedoch keinesfalls verschwiegen werden darf und soll, ist jener Umstand, dass dieser Herbert einen Bruder hatte, eine vollbürtigen Bruder, der zwei Jahre nach seiner eigenen Geburt auf den Namen „Adalbert“ getauft werden sollte und der von seinen frühesten Tagen an ein so völlig anderer sein sollte, als sein älterer Bruder. Wenngleich beide Brüder nie ihre leiblichen Väter kannte, so waren sie doch von einer Mutter in diese Welt entlassen worden und trotz all der Schmach und Schande entwickelten sich beide zu ansehnlichen Kerls, wenngleich auf recht unterschiedliche Art und Weise.

Der eine Adalbert erwies sich von Kindesbeinen an als fromm und gutmütig, kreiste stets um die Mutter wie einstmals der biblische Jakob um seine Mutter Rebekka. Herbert hingegen glich mehr dem behaarten und wilden Esau, den Gott angeblich gehasst hatte, war sein Metier doch von jeher die Natur und die Jagd gewesen. Es kam nun soweit, dass die alte Mutter ob der hohen Zahl an Jahren, die sie bereits auf ihrem gekrümmten Buckel trug den letzten Atemzug tat und ihr Leben dem Ewigen übergab. Nachdem in unserer Geschichte jedoch kein Erzvater Jakob zugegen war, blieb auch das Erstgeburtsrecht bei Herbert und dieser lebte nun freien denn je zuvor. Adalbert hingegen, der von jeher wenig von seinem Bruder hielt und sein der schmutzigen Arbeit zu „fein“ dachte, geriet ob des Todes seiner Mutter in eine Verzweiflung, wie sie die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Noch lebte er mit seinem Bruder unter ein Dach, doch dieser packte ihr gar grob und barsch von Tag zu Tag sogar mehr an und machte sich manchen Spaß aus dem verweichlichten Jüngling, der bereits zu altern begann, wenngleich er sich diesen Umstand selbst nie eingestehen wollte. Herbert schoss Gämsen, Steinböcke und Spielhähne, stieg so mancher Maid nach, ob sie nun hold war oder nicht, und wurde der Vater von, so sagte man sich in der Gegend, nicht wenige als 100 Kindern. Viel mehr als sein keusch lebender Bruder, wähnte er sich in der Tradition des Stammvaters Abraham, dem gemäß der Verheißung Gottes einst die ganze Erde voll seiner Nachkommen sein sollte.

Doch dann geschah es an einem ganz besonderen Tage – es war mitten im Sommer am Tage der Himmelfahrt der Gottesmutter Maria, als unser Herbert sich unsterblich in die Tochter eines reichen Bauern aus dem benachbarten Liechtensteinischen verliebte. Groß war da die Aufregung und der Widerstand der Familie der vermeintlichen Braut kannte keine Grenzen. Mit dem Umbringen wurde da gedroht und alle Vettern und Neffen wurden mit Heu- und Mistgabeln aufgeboten, um dem Habenichts aus dem Österreichischen ein für alle Mal klarzumachen, dass ein so vornehmes und edles Fräulein für ihn nicht zu haben sei. Selbst die Obrigkeit schaltete sich ein und leitete so machen Amtsweg in die Wege um zu verhindern, was die Natur, unter Schirmherrschaft des Allmächtigen, längst beschlossen hatte. So wurde denn noch vor dem großen Kriege, der bald folgen sollte, Hochzeit gefeiert und im Jahresabstand wurde Kind nach Kind geboren. Trotz der engen Verhältnisse gedieh dieser Bund durch den Segen Gottes aufs Prächtigste und spottete all der Pharisäer, die meinten solches wäre nicht mit den Geboten der Heiligen Mutter Kirche in Einklang zu bringen.

Herbert wurde in bereits vorgeschrittenem Alter in den großen Krieg berufen und kämpfte tapfer gegen die Welschen, die angeblich die heilige Monarchie bedrohten, entkam der Gefangenschaft und kehrte ohne Wunden an Leib und Seele in seine Heimat zurück. Obgleich als Kriegheld gefeiert war ihm doch die Liebe zu Gott und den seinen sein ein und alles. Im hohen Alter von mehr als 95 Jahres starb er friedlich im Kreise seiner Lieben. Er sah noch die Kinder seiner Enkel und war im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und einem lebhaften Herzen bis er seinen Lebensatem aushauchte und in Gottes ewiges Reich einging.

 

Doch wie erging es nun unserem Adalbert? Dieser war voll des Neides und der Zwietracht bezüglich seines Bruders. In all den Jahren hatte der Neid mehr und mehr an ihm gefressen. Trotzdem hatte er ihn nicht daran gehindert sich dem geistlichen Stand zu weihen und sogar in die Dienste der Weihbischofs als Schreiber zu treten, der damals jene arme Berggegend als Oberhirte führte, als es noch nicht gegeben war, dass Vorarlberg ein eigen Bistum sein sollte. Er versucht jede Verbindung mit seinem berühmten Bruder zu leugnen, gab sich gar als Böhme aus, der mehr durch die Wirren des Schicksals als durch seinen eigenen Entschluss in den Westen der Monarchie verschlagen worden wäre. Doch nicht das Geringste davon entspricht der Wahrheit. Adalbert wurde immer verschlossener und menschenscheuer, so dass er immer wenige „genießbar“ wurde für seine Mitmenschen. Es kam so weit, dass er am Ende als völlig verhärmter Greis voller Bedauern und Hass auf die Welt starb, obwohl er noch nicht einmal vierzig Jahre zählte, als der Sensenmann ihn aufsuchte.

 

Diese Geschichte zeigt uns was geschieht, wenn wir unser Leben aufschieben, wenn wir glauben „brave“ Menschen sein zu müssen und nie erkennen, was von Natur an in uns angelegt ist. Wenn es den Teufel wirklich gibt, so liegt er viel mehr in den Vorstellungen der Welt und dem Zwang, der uns dazu bewegen möchte, ihr zu folgen, als dass wir tun, was wir unserer eigenen Natur, unserem eigenen inneren Kern nach, tun müssen.

 

Dies ist eine alte Geschichte und die wenigsten meinen es sei etwas Wahres in ihr zu finden. Doch ich meine Freude, ich bürge für ihre Richtigkeit, denn ich selbst bin ein Nachkomme jener wilden Gesellen aus diesen längst abgelebten Zeiten, von denen ich euch eben berichtet habe. Und es möchte mir eher der Kopf abgeschlagen werden, als dass ein einziges Wort von meiner Geschichte sich als unwahr herausstellen sollte.