Herbert war ein eigentümliches Individuum. Solches zu sagen
ist keinesfalls eine Übertreibung aber auch nicht als Versuch zu sehen jemanden
besonders hervorzustreichen zu sehen. Nein, die Person von der hier die Rede
sein soll ist ganz und gar ein Mensch und zwar eine, so wie ihn wohl Gott
ursprünglich sich ersonnen hat bevor des Menschen Eitelkeit und Gewinnsucht
danach strebte hervorzubringen, was niemals im Sinne der ursprünglichen Natur
stand.
Von Kindesbeinen an das harte Leben in den Bergregionen des
westlichen Österreich gewöhnt, in einer Zeit, als noch Hochachtung vor der
Schöpfung und dem Menschen bestand und unser guter alter Kaiser, Franz Joseph
I. das große Reich regierte, welches es von seinen Vätern ererbt hatte, die
seit Urzeiten die Geschickte des Kontinents beeinflussten, war der einfache
Mann dazu erkoren seinem eigenen Stern zu folgen und fern des Gewimmels der
Welt zu tun, was er tun musste, was auch immer die Welt davon halten mochte. Eben
dieser Herbert, wie wir unseren Helden nennen wollen, war ein Unikum, eine
Gestalt die einsam vor der Weltgeschichte stand, wenngleich diese niemals von
ihm Kenntnis erhalten sollte. Er stand mit dem ersten Hahnenschrei im
Morgengrauen auf und ging mit den Hühnern schlafen, wie das Sprichwort so schon
sagt. Der Pfarrer des kleinen Dorfes, zu den Füßen der hohen Berge, die noch
bis in den Hochsommer hinein mit Schneefeldern bedeckt waren, hatte sein
Äußerstes in die Wagschale gelegt um aus diesem der Natur allzu sehr dienlichen
und hingegebenen Naturburschen einen braven Christenmenschen zu machen, was
denn zu jenen längst vergangenen Zeit nichts anderes bedeutete, als dass er zur
Zivilisation bekennen sollte und fern aller Herzensbestrebungen tun sollte, was
seine „Pflicht“ eben gewesen sei und sich nicht mehr auf jene verderblichen
Pfade begeben sollte, die das Heidentum sei unerdenklichen Zeiten verfolgte und
das der Meinung der hohen Geistlichen Herren doch zu nichts anderem als zur
ewigen Verdammnis führen konnte.
Doch genug von all dem theoretischen Geschwätz, von all den
vielen Worten, die mehr verwirren, als dass die den Geist zu leiten vermögen,
gerade dort wo ohnehin die Welt der Verwirrung genug tut und einen suchenden
Geist mehr in die Irre als zum wahren Heil zu führen vermag.
Dieser Herbert war Jäger, das heißt im Grunde hatte er nie
eine Lizenz zu diesem Gewerbe erlangt, sondern hatte sich dies Profession mehr
selbst angeeignet und hielt sich mehr aus eigenem Recht heraus für befähigt Gottes
tierische Geschöpfe allem Irdischen zuzuführen, nicht alleine um eine Trophäe
in seiner bescheidenen Stube, über dem selbstgebauten Kachelofen, aufzuhängen,
sondern vielmehr um die sechs Mäuler zu stopfen, die sein braves Weib in den
letzten acht Jahren zur Welt gebracht hatte.
Doch was hier jedoch keinesfalls verschwiegen werden darf
und soll, ist jener Umstand, dass dieser Herbert einen Bruder hatte, eine
vollbürtigen Bruder, der zwei Jahre nach seiner eigenen Geburt auf den Namen
„Adalbert“ getauft werden sollte und der von seinen frühesten Tagen an ein so
völlig anderer sein sollte, als sein älterer Bruder. Wenngleich beide Brüder
nie ihre leiblichen Väter kannte, so waren sie doch von einer Mutter in diese
Welt entlassen worden und trotz all der Schmach und Schande entwickelten sich
beide zu ansehnlichen Kerls, wenngleich auf recht unterschiedliche Art und
Weise.
Der eine Adalbert erwies sich von Kindesbeinen an als fromm
und gutmütig, kreiste stets um die Mutter wie einstmals der biblische Jakob um
seine Mutter Rebekka. Herbert hingegen glich mehr dem behaarten und wilden
Esau, den Gott angeblich gehasst hatte, war sein Metier doch von jeher die
Natur und die Jagd gewesen. Es kam nun soweit, dass die alte Mutter ob der
hohen Zahl an Jahren, die sie bereits auf ihrem gekrümmten Buckel trug den
letzten Atemzug tat und ihr Leben dem Ewigen übergab. Nachdem in unserer
Geschichte jedoch kein Erzvater Jakob zugegen war, blieb auch das
Erstgeburtsrecht bei Herbert und dieser lebte nun freien denn je zuvor.
Adalbert hingegen, der von jeher wenig von seinem Bruder hielt und sein der
schmutzigen Arbeit zu „fein“ dachte, geriet ob des Todes seiner Mutter in eine
Verzweiflung, wie sie die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Noch lebte
er mit seinem Bruder unter ein Dach, doch dieser packte ihr gar grob und barsch
von Tag zu Tag sogar mehr an und machte sich manchen Spaß aus dem
verweichlichten Jüngling, der bereits zu altern begann, wenngleich er sich
diesen Umstand selbst nie eingestehen wollte. Herbert schoss Gämsen, Steinböcke
und Spielhähne, stieg so mancher Maid nach, ob sie nun hold war oder nicht, und
wurde der Vater von, so sagte man sich in der Gegend, nicht wenige als 100
Kindern. Viel mehr als sein keusch lebender Bruder, wähnte er sich in der
Tradition des Stammvaters Abraham, dem gemäß der Verheißung Gottes einst die
ganze Erde voll seiner Nachkommen sein sollte.
Doch dann geschah es an einem ganz besonderen Tage – es war
mitten im Sommer am Tage der Himmelfahrt der Gottesmutter Maria, als unser
Herbert sich unsterblich in die Tochter eines reichen Bauern aus dem
benachbarten Liechtensteinischen verliebte. Groß war da die Aufregung und der
Widerstand der Familie der vermeintlichen Braut kannte keine Grenzen. Mit dem
Umbringen wurde da gedroht und alle Vettern und Neffen wurden mit Heu- und
Mistgabeln aufgeboten, um dem Habenichts aus dem Österreichischen ein für alle
Mal klarzumachen, dass ein so vornehmes und edles Fräulein für ihn nicht zu
haben sei. Selbst die Obrigkeit schaltete sich ein und leitete so machen
Amtsweg in die Wege um zu verhindern, was die Natur, unter Schirmherrschaft des
Allmächtigen, längst beschlossen hatte. So wurde denn noch vor dem großen
Kriege, der bald folgen sollte, Hochzeit gefeiert und im Jahresabstand wurde
Kind nach Kind geboren. Trotz der engen Verhältnisse gedieh dieser Bund durch
den Segen Gottes aufs Prächtigste und spottete all der Pharisäer, die meinten
solches wäre nicht mit den Geboten der Heiligen Mutter Kirche in Einklang zu
bringen.
Herbert wurde in bereits vorgeschrittenem Alter in den
großen Krieg berufen und kämpfte tapfer gegen die Welschen, die angeblich die
heilige Monarchie bedrohten, entkam der Gefangenschaft und kehrte ohne Wunden
an Leib und Seele in seine Heimat zurück. Obgleich als Kriegheld gefeiert war
ihm doch die Liebe zu Gott und den seinen sein ein und alles. Im hohen Alter
von mehr als 95 Jahres starb er friedlich im Kreise seiner Lieben. Er sah noch
die Kinder seiner Enkel und war im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und einem
lebhaften Herzen bis er seinen Lebensatem aushauchte und in Gottes ewiges Reich
einging.
Doch wie erging es nun unserem Adalbert? Dieser war voll
des Neides und der Zwietracht bezüglich seines Bruders. In all den Jahren hatte
der Neid mehr und mehr an ihm gefressen. Trotzdem hatte er ihn nicht daran gehindert
sich dem geistlichen Stand zu weihen und sogar in die Dienste der Weihbischofs
als Schreiber zu treten, der damals jene arme Berggegend als Oberhirte führte,
als es noch nicht gegeben war, dass Vorarlberg ein eigen Bistum sein sollte. Er
versucht jede Verbindung mit seinem berühmten Bruder zu leugnen, gab sich gar
als Böhme aus, der mehr durch die Wirren des Schicksals als durch seinen eigenen
Entschluss in den Westen der Monarchie verschlagen worden wäre. Doch nicht das
Geringste davon entspricht der Wahrheit. Adalbert wurde immer verschlossener
und menschenscheuer, so dass er immer wenige „genießbar“ wurde für seine
Mitmenschen. Es kam so weit, dass er am Ende als völlig verhärmter Greis voller
Bedauern und Hass auf die Welt starb, obwohl er noch nicht einmal vierzig Jahre
zählte, als der Sensenmann ihn aufsuchte.
Diese Geschichte zeigt uns was geschieht, wenn wir unser
Leben aufschieben, wenn wir glauben „brave“ Menschen sein zu müssen und nie
erkennen, was von Natur an in uns angelegt ist. Wenn es den Teufel wirklich
gibt, so liegt er viel mehr in den Vorstellungen der Welt und dem Zwang, der
uns dazu bewegen möchte, ihr zu folgen, als dass wir tun, was wir unserer
eigenen Natur, unserem eigenen inneren Kern nach, tun müssen.
Dies ist eine alte Geschichte und die wenigsten meinen es
sei etwas Wahres in ihr zu finden. Doch ich meine Freude, ich bürge für ihre
Richtigkeit, denn ich selbst bin ein Nachkomme jener wilden Gesellen aus diesen
längst abgelebten Zeiten, von denen ich euch eben berichtet habe. Und es möchte
mir eher der Kopf abgeschlagen werden, als dass ein einziges Wort von meiner
Geschichte sich als unwahr herausstellen sollte.