Sonntag, 11. April 2010

Der unerkannte Prinz

Einst lebte ein Prinz in einem kleinen aber überaus ruhmreichen Königreich, das eine lange Tradition des Friedens und Wohlstandes hatte. Einst waren die Vorfahren des Prinzen Kriegerfürsten gewesen, die das Land erobert hatten und dem Volk Recht und Ordnung gaben. Da sie auch sehr weise und tüchtig waren, blühte das Reich bald auf und es wurde gesagte, dass es auf dem ganzen Erdball kein prächtigeres gäbe und in keinem die Rechtschaffenheit mehr geehrt würde. Doch in diesem Reich gab es eine alte Hexe, die sich darauf verstand sich in die verführerische Gestalt einer jungen Frau zu verwandeln. In dieser Gestalt brachte sie es fertig den Großvater des Prinzen dazu zu bringen sie zu heiraten. Bald wurde dem Königspaar ein Kind geboren, das der Vater des Prinzen werden sollte. Der Großvater erkannte bald nach der Geburt des Kindes, dass die Mutter eine Hexe war und wollte sie aus dem Palast verbannen. Da sie sich weigerte, ließ der König seine Wachen rufen und warf die Hexe in den tiefsten Kerker seines Schlosses, wo sie elendiglich an Hunger starb. Doch bevor das Lebenslicht in ihr endgültig erlosch, sprach sie einen Fluch über ihr Kind, den Prinzen, und alle dessen Nachkommen aus.

Der Großvater starb einige Jahre später und sein Sohn übernahm den Thron. Doch auch der Sohn starb bald am Fluch seiner Mutter und nun war der Prinz es, der das Reich alleine regierte. Er war schön von Gestalt und klug im Geiste, doch er fühlte sich einsam und wollte sich deshalb verheiraten. Nachdem er sehr mutig war, wollte der die Tochter des Königs der Könige heiraten, des mächtigsten Herrschers auf dem ganzen weiten Erdenrund. Als Zeichen seiner Aufrichtigkeit wollte er der Königstochter ein wertvolles Geschenk machen. Im Wald des Schlosses gab es eine Gruppe von stolzen und schönen Hirschen, die nur schwer zu erlegen waren. Viele hatten es versucht und keinem war es bis dahin gelungen. Es hatte mit den Hirschen aber auch noch eine andere Besonderheit auf sich. Alle sieben Jahre wurde ein junger weißer Hirsch geboren, der alle anderen an Stärke und Klugheit übertraf. Diesen Hirsch wollte der Prinz nun erlegen. Er begab sich also in den Wald, spürte dem Rudel nach und als er die Hirsche endlich erspähte, spannte er seinen Bogen und schoss einen Pfeil dem weißen Hirschen mitten ins Herz hinein. Aus dem Fell des Hirsches ließ der Prinz einen wunderbaren Mantel anfertigen, den er der Königstocher als Geschenk schicken ließ.

Als das Geschenk in Goldfolie verpackt im Palast des Königs ankam, war die Aufregung groß und alle freuten sich darauf, wenn die Prinzessin das Paket öffnen sollte. Auch der Vater, der alte König, kam herbei und sah seiner Tochter dabei zu. Als sie den Mantel sah, strahlten ihre Augen und sie warf sich ihn sich sogleich um die Schultern und stolzierte damit vor dem ganzen Hofstaat herum. Doch als eine der Hofdamen den Mantel berührte, sagte sie, dass dieser sicher von einem echten Hirsch käme, da sich die Haut genau so anfühlte. Da war die Enttäuschung groß, denn niemand am Hofe liebte das Natürliche. Der Mantel wurde daraufhin auch sogleich weggeschmissen.

Als der Prinz davon erfuhr, war er nicht allzu traurig, denn er ließ sich so schnell nicht entmutigen. Er machte sich persönlich auf ins fremde Königreich. Jedoch wusste er nun, dass er nicht einfach so ohne weiteres vorstellig werden konnte, um den König um eine Audienz zu bitten. So verkleidete er sich als Gärtner und fragte den König um eine Stellung, da er gehört hatte, dass der alte Gärtner des Schlosses vor kurzem gestorben und dessen Stelle deshalb vakant geworden war. Der König stellte ihn ein und gab ihm eine Unterkunft im Hause des verstorbenen Gärtners. Der Gärtner pflegte nun die Sträucher und Beete des Palastes. Alles musste symmetrisch sein, keine Blume durfte die falsche Farbe habe und alle Pflanzen waren nach strengen geometrischen Formen geschnitten, denn gerade darauf legte der König besonderen wert. Wann immer der Gärtner jedoch Zeit hatte, setzte er sich unter einen Baum und schrieb die herrlichsten Gedichte, die man je gehört hatte. So kam es, dass die Prinzessin von dieser außerordentlichen Gabe hörte und sich mit ihren Hofdamen aufmachte den Gärtner zu besuchen, um seine Gedichte zu hören. Der Gärtner war damit einverstanden unter der Bedingung, dass er eine Haarlocke der Prinzessin bekam. Dazu war diese jedoch anfangs nicht bereits, denn es war unter ihrer Würde einem Gärtner etwas so Wertvolles zu geben. Doch ihre Sehnsucht die Gedichte zu hören war so groß, dass sie endlich einwilligte und sich eine kleine Locke abschnitt, die der junge Gärtner haben sollte. Das Haar wurde also überreicht. Dann trug er ihr die schönsten Balladen vor, die man im Königreich je gehört hatte und die Prinzessin war vollkommen hingerissen.

Der Gärtner hatte aber noch weitere Talente. So malte er in seiner Freizeit auch wunderbare Bilder vom Schloss, von den Pflanzen und anderen Gebilden der lebendigen Natur. Wieder kam die Prinzessin und wollte dieses Mal eines dieser Bilder habe. Doch der Gärtner war nur bereit es ihr unter der Bedingung zu überlassen, dass sie ihm den goldenen Armreif gäbe, den sie einst von ihrer Mutter erhalten hatte, als sie noch ein junges Mädchen war. Die Prinzessin dachte sich, dies sei doch eine Unverschämtheit und weigerte sich, die Nase hoch in die Lüfte hebend. Doch als sie das schöne Bild, das es ihr besonders angetan hatte, erneut betrachtete, konnte sie nicht mehr umhin; sie musste es einfach haben und so überreichte sie dem Gärtner ihren Armreif.

Wieder verging einige Zeit und der Gärtner spielte in seiner freien Zeit die Geige mit derartiger Hingabe, dass er ihr die lieblichsten Töne zu entlocken vermochten. Wenn man diese hörte, so vergaß man sogleich all seine Sorgen und wurde wieder munter und froh. Die Prinzessin kam dieses Mal ohne ihre Hofdamen zum Prinzen und bat ihn für sie alleine zu spielen. Der Gärtner wollte dies tun, wenn sie bereit wäre ihm sieben Küsse zu geben. Die Prinzessin erschrak, eine solche Dreistigkeit war ihr noch nicht untergekommen. Sie schnaubte und kniff die Augen zu, doch als sie die Violine sah und sich daran erinnerte, wie herrlich die Melodien geklungen hatten, ergab sie sich und versprach ihm die Küsse zu geben. Dazu sollten sie jedoch hinter den Stamm einer großen Eiche gehen, damit sie niemand sehen konnte. Als der Gärtner sie bereits drei Mal geküsst hatte, ertönte ein entsetzlicher Schrei vom Tor her, durch das man den Garten des Schlosses betrat. Der König kam gerade mit seinem Gefolge von der Jagd zurück, als er seine Tochter dabei sah, wie sie den Gärtner küsste. Er hielt eine strenge Predigt und verbannte wutentbrannt sein Töchterchen und den Gärtner für immer aus seinem Reich.

Vor dem Palast legte der Gärtner sein schmutziges Gewand ab und trat als strahlender Prinz vor die Prinzessin hin. Diese verneigte sich und wurde rot vor Scham, seine Pracht verschlug ihr die Sprache und sie konnte nicht anders, als ihn um Verzeihung zu bitten. Er jedoch wies sie ab und sprach, sie wollte ihn als Gärtner nicht haben, nun soll sie ihn auch als Prinzen nicht haben. Da sank die Prinzessin auf die Knie und weinte bitterlich, doch der Prinz zog davon, zurück in sein Reich.

Die Prinzessin litt nun furchtbare Qualen. Einsam, alleine wanderte sie durch den Wald, wo sie fast von wilden Tieren gefressen wurde, Räuber stahlen ihr alles was sie noch bei sich trug. Ihr Kleid war bald zerrissen und ihre Gesundheit wurde immer schlechter. Bald sah sie wie eine Bettlerin aus. Der Prinz aber hatte nun von der Geschichte der Hexe erfahren, denn als Kind hatte man ihm nie etwas davon erzählt. Als er zurück in sein Schloss kam, ließ er das Verließ öffnen, in dem die Hexe elendiglich verhungert war. Es war schrecklich anzusehen, nur noch ein Skelett lag ausgestreckt am Boden. Doch daneben, fast hätte man es übersehen, lag ein kleines Amulett aus Silber mit dem Bild eines Kindes darin. Es war ein Portrait des Vaters des Prinzen. Doch das Kind auf dem Bild war krank und hatte fürchterliche Gesichtszüge. Der Prinz nahm das Schmuckstück an sich und ließ die sterblichen Überreste seiner Großmutter in der Familiengruft begraben. In diesem Augenblick verwandelte sich das Bild im Amulett, das Kind war gesund geworden und strahlte vor Lebenskraft und Gesundheit, seine Bäckchen waren rot und ein Lächeln zeigte sich auf seinem Antlitz.

Nun begab es sich, dass die zur Bettlerin gewordene Prinzessin auch an das Tor des Palastes des Prinzen kam und in ihrer Verzweiflung anklopfte. Zuerst wollte sie niemand hereinlassen, doch als der Prinz an das Tor trat, warf sich die Bettlerin zu seinen Füßen und bat weinend um Verzeihung. Sie versprach dem Prinzen lebenslang treu zu dienen und alles zu tun, was er von ihr verlangte. Da hatte der Prinz Mitleid mit ihr und nahm sie in seinem Schloss auf. Ihr wurde eine winzige Kammer zugeteilt, sie bekam aber reichlich zu essen und so wurde sie bald wieder gesund. Nun musste sie hart arbeiten, wie sie es noch nie zuvor in ihrem Leben getan hatte, doch sie beklagte sich nicht und war nur froh am Leben zu sein. Der Prinz aber fand nun wieder Gefallen an ihr, und ließ ihr eine bessere Kammer geben und sie durfte nun öfters bei ihm sein und ihn unterhalten. Nach drei Jahren hatte sie drei Söhne geboren, von denen der Prinz jedoch nichts wusste. Als sie nun diese seine Kinder dem Prinzen vorführte, nahm er sie in seine Arme und erkannte sie als die seinen. Dann stand er auf und schloss seine Dienerin in die Arme und sprach die Worte: „Nun bist du nicht mehr meine Sklavin, nun bis du meine Frau! Jetzt bist du wahrhaft von edlem Wesen“. Damit küsste er sie und bald darauf wurde Hochzeit gefeiert. So regierte das Paar als König und Königin gütig und weise und das Königreich blühte auf, wie man es auf der Welt noch nie gesehen hatte. Und wenn sie nicht gestorben sind, so lieben sie sich noch heute.

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