Freitag, 16. Juli 2010

2050 – Rückblick auf ein halbes Jahrhundert

Was wurde zu Beginn dieses neuen Jahrtausends nicht alles geschrieben und medial verbreitet? Welche noch so unwahrscheinlichen, aller Erfahrung widersprechenden Szenarien wurden da nicht mit allem Ernst angekündigt? Die wildesten Zukunftsphantasien, gepaart mit der der menschlichen Natur allem Anschein nach eigenen Faszination des Untergangs, welche in Untergangsszenarien biblischen Ausmaßes so viele erfasst hatten, drangen in den Geist selbst des kühlsten Rationalisten ein und sorgten für ein leicht gespanntes, ja vielleicht sogar für ein beunruhigendes Gefühl. Doch siehe da, das neue Jahr begann, die Korken knallten, das Silvesterfeuerwerk fand ein Ende und wir stellten alle fest, dass wir noch am Leben waren. Alles war scheinbar beim Alten geblieben und der Alltag ergriff uns mit all seinen Verpflichtungen und Nöten. Wie sehr irrten damals doch die Menschen, ob dessen, was da kommen würde? Wie sehr muss ich jetzt in meinen alten Tagen zurückblicken und erkennen, dass die allerwenigsten Dinge, die prophezeit wurden, sich erfüllt haben? Die Welt ist tatsächlich eine andere geworden und es stellte sich heraus, dass sie wahrhaftig zu einer „neuen Erde“ wurde und nicht bloß eine Fortsetzung der Vergangenheit, wenn auch mit beschleunigtem Tempo.

Vor jeder Umwandlung, vor jeder höheren Entwicklung, steht eine Krise, ein Chaos, das jedoch in eine neue Ordnung übergeht, sobald die verdichteten Gegebenheiten es bewerkstelligen sich auf dieser höheren Ebene zu organisieren. Es ist immer eine Frage von allem oder nichts, vom Aufstieg zu neuen Höhen, oder des Abstiegs in die tiefsten Abgründe. Für die Welt bedeuteten die letzen Jahrzehnte tatsächlich eine solche Krise und um ein Haar hätten wir diese Prüfung kosmischen Ausmaßes nicht überstanden und hätten uns alle selbst und den Planten ausgelöscht. Seit nunmehr hundert Jahren schwebt dieses Damokles einer atomaren Apokalypse über der Erde und tatsächlich ist die Gefahr auch heute noch, wenn sie auch beträchtlich geringer geworden ist, immer noch gegenwärtig.

Als das erste Jahrzehnt voranschritt, wollte die Hysterie mancher immer noch nicht verstummen und findige Leute fanden auch wirklich ein neues Datum, das als Weltuntergang zu verkaufen sich eignete. So fügte sich eine seltsame Allianz von an sich völlig heterogenen Gruppen, von esoterischen Phantasten über religiöse Fundamentalisten bis hin zu rechts- und linksradikalen Gruppen, zusammen, die im Jahre 2012 einen Umbruch erwarteten. Für manche schien Satan persönlich als Antichrist auf der Weltbühne zu erscheinen, wieder andere glaubten eine `Neue Weltordnung´ würde nun endgültig die Macht auf dem Planeten übernehmen und deshalb griffen alles sie an, was auf eine Einung der Menschheit hinauslief. Dann gab es da noch die Träumer und ewigen Kinder im Geiste, die von einer „Höherschwingung“ unserer schönen blauen Kugel phantasierten, einer Art globaler Entrückung, die nur den „Auserwählten“ zuteil werden würde. Nun, der 21. Dezember des Jahres 2012 kam und nichts geschah. Wieder einmal ist ein Weltuntergang angekündigt wurden, alleine die Welt wusste selbst von ihrem Untergang nichts und so dreht sie heute noch immer ihre Kreise um dasselbe gute alte Zentralgestirn.

Was ist es nun, was im Kern die heutige Welt ausmacht? Was hat sich wirklich gegenüber den früheren Jahrtausenden geändert. Nun, wie wir heute bereits mit großer Gewissheit sagen können, vollzog sich bereits seit Jahrhunderten eine grundlegende Änderung auf der Erde. Die Anfänge liegen mit Sicherheit bereits in der Renaissance. Ab dem 18. Jahrhundert war dieser Kurswechsel bereits vollzogen, das 19. und 20. Jahrhundert brachten auf der einen Seite einen gewaltigen Fortschritt, insbesondere im technischen Bereich, doch erst das 21. Jahrhundert brachte den endgültigen Umbruch in der „Psyche“ mit sich. Mit Psyche meine ich hier nicht nur diejenige des einzelnen Menschen, sondern der ganzen Menschheit. Denn es haben sich die einzelnen Bewusstseinszentren, die wir in den menschlichen Einzelwesen lokalisieren können, tatsächlich auf höherer Ebene zusammengeschlossen und bilden nun eine gemeinsame Seele der gesamten Menschheit. Unser Leben und Erleben findet hauptsächlich im Geiste statt. Das bedeutet nicht, dass wir keine körperlichen Wesen mehr sind, das sind wir noch immer, doch wir sind keine „höhere Form der Tiere“, wie dies noch lange fälschlicherweise vermutet wurde. Die Menschheit bildet das letzte vollständig entwickelte Phylum der biologischen Evolution. Der Mensch ist wirklich die „Krone der Schöpfung“ und heute können wir dies ohne weiteres bejahen und wir brauchen nicht mehr die Überheblichkeit auf niederere Wesen herabzuschauen, um uns von ihnen abzuheben, denn wir haben nun die Gewissheit, dass wir die Spitze der Achse sind, entlang der sich die Evolution ihrem Endziel nähert. Aber weil wir dies wissen, haben wir auch die Verantwortung für die gesamte Schöpfung übernommen.

Der Kern der Welt von heute macht tatsächlich dieses höher organisierte Bewusstsein aus, das sich wie die Biosphäre als Noosphäre, als unsichtbare, aber wahrnehmbare Schicht, über erstere legt und sie doch gleichzeitig überall durchdringt. Wie haben wir dies geschafft? Dazu muss gesagt werden, dass es vermessen wäre, wollten wir diese Entwicklung uns selbst zuschreiben. Nein, diese Sphäre wurde weniger von uns selbst, als viel mehr durch uns hindurch erschaffen. Anfangs unmerklich und nur wenige Menschen wussten um diese Entwicklung. Dann spürte die Menschheit zu Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhundert einen immer größer werdenden psychischen Druck. Lange wurde er dem zunehmenden Lebenstempo, den gestiegenen Anforderung, den weltweiten Problemen zugeschrieben. Teilweise hatte man damit auch Recht, doch im Grunde handelte es sich um die kosmischen Geburtswehen, die die neue Erde entstehen ließen. Und tatsächlich haben die Menschen einen hohen Preis dafür bezahlt. Einerseits haben Millionen Menschen ihr Leben gelassen, in Naturkatastrophen, Kriegen, Krankheiten (damals gab es noch eine Immunschwächekrankheit, die durch ein Virus namens HIV ausgelöst wurde, sie war eine Geißel der Menschheit und hieß AIDS), Aber ebenso haben noch mehr Menschen eine hohe psychische Taxe bezahlt. Depressionen, neurotisches Verhalten, Persönlichkeitsstörungen, ja bis hin zur Psychose reichten die „Wehen“, die die Geburt der Noosphäre mit sich brachte. Ich denke mir oft, wenn wir Menschen wüssten, wozu eine Sache gut wäre, wir könnten leichter den Preis bezahlen. So sind wir heute alle dankbar für diese Menschen, und ich übertreibe nicht, wenn ich die Menschen von damals als Helden bezeichne.

Im 21. Jahrhundert machte die Wissenschaft enorme Fortschritte. Das Wissen verdoppelte sich beinahe von Jahr zu Jahr, als wir auf das Jahr 2020 zugingen. Die zunehmende Spezialisierung führte dazu, dass es kaum mehr jemanden gab, der wusste, was einer auf einem anderen Fachgebiet wirklich tat, womit er beschäftigt war. Wir mussten uns alle auf den anderen verlassen. Die Zeit der Universalgenies war ohnehin schon lange vorbei gewesen. Leider wurde das Vertrauen oft auf eine harte Probe gestellt und nicht selten missbraucht. Doch wir sahen ein, dass nur das Vertrauen unter den Menschen uns weiter bringen konnte. Wir lernten bessere Menschenkenntnis zu entwickeln, was jedoch nur bei gleichzeitiger psychischer Gesundung geschehen konnte. Erst heute sehen wir wie krank die menschliche Gesellschaft früher war. Zwar sind wir auch heute noch davon entfernt, dass alle Menschen ein Niveau erreicht haben, das der selige Abraham Maslow als „selbstverwirklichend“ bezeichnet hatte, doch im Vergleich mit den Menschen zu Beginn dieses Jahrhunderts sind wir alle gesund. Was damals das Außergewöhnliche war, ist heute zur Normalität geworden. Zu jener Zeit waren die Menschen größtenteils Barbaren. Vergleicht man die Mittel, die für Rüstung weltweit aufgewendet wurden, im Vergleich zur Forschung, die sich mit den großen Problemen der Menschheit befassten, kann man zu keinem anderen Schluss kommen. Doch wir wissen nun auch, dass die Menschen der damaligen Zeit nicht böse waren, sondern sich viel mehr im Irrtum befanden. Sie verdienen nicht Schelte, sondern unser Mitgefühl.

Uns war klar geworden, dass Wissenschaft längst mehr war, als das Anhäufen und Verknüpfen von Wissen um ihrer selbst willen. Nein, sie wurde zur absoluten Notwendigkeit für alle Nationen und mehr noch für die gesamte Menschheit. Aber eben gerade diese Einsicht ließ noch länger auf sich warten und so vergingen mehr als zwei Jahrzehnte, bis Bildung nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis zum Megathema geworden war. Von diesem Zeitpunkt an allerdings ging ein spürbarer Ruck durch die Reihen der Menschen und wir besannen uns auf wesentlichere Dinge. Zudem, und das ist ganz entscheidend, wurde die Wissenschaft zu einer der Leitlinien entlang derer sich die Menschheit von nun an weiter entwickelte. Neben der Wissenschaft gibt es noch zwei weitere Leitlinien, auf die ich sogleich kommen werde. Die Evolution war durch den Menschen aus dem Bereich des Biologischen in den Bereich des Denkens eingetreten und hatte allmählich einen höheren Bewusstseinsstand erreicht. Lange wurde der Mensch noch über seine niederen Instinkte definiert, bis wir unseren ewigen Irrtum erkannten, dass der Mensch nur über schwache Triebe verfügt und mehr über das reflektierende Bewusstsein definiert werden muss, als über seine DNS oder auch das anerzogenen Verhalten (welches seit Menschengedenken immer nur korrupt war). So definieren wir heute den Menschen, als die sich ihrer selbst bewusst gewordene Schöpfung oder Evolution (die beiden sind heute kein Widerspruch mehr, wie sehr unsere Vorfahren auch darum gestritten haben mögen). Wissen bedeutet aber nicht nur mehr zu haben (im geistigen Sinn), sondern vor allem mehr zu sein. Und das ist das Entscheidende. Es gab bereits im 20. Jahrhundert weise Menschen, die forderten zu sein und nicht zu haben. Doch außer anerkennendem Kopfnicken hatte man dafür nicht viel übrig. Erst zwei Generationen später begannen die Menschen endgültig wirklich zu sein. Und ein wesentlicher Punkt dazu ist das Wissen selbst.

Die zweite Linie der Entwicklung ist der Mensch selbst. Er ist das komplexeste Wesen, das flexibelste aller Phänomene im Universum, zumindest so weit wir es bisher wissen können. Kein Studium war zur Erreichung einer neuen geistigen Ordnung auf der Welt notwendiger, als jenes vom Menschen. Es ist uns letztendlich gelungen, nach langen Kämpfen alles Beteiligter (Wissenschaftler aller Fachrichtung, Vertreter von Religionen, Politiker etc.) ein umfassendes Verständnis und eine Metawissenschaft vom Menschen zu errichten. Wir wussten, dass das Verständnis von uns selbst entscheidend für das Überleben von uns allen und der Spezies sein würde. Die Notwendigkeit schweißte uns endlich zusammen. Seit jeher war der Mensch sich selbst das größte Rätsel. Lange glaubte man der Mensch sei im Grunde ein brutales Wesen, der im Kampf ums Dasein ohne weiteres seinen nächsten töten würde. Die Triebe wurden enorm übersteigert dargestellt, übersteigert, weil sie im Grunde alles andere als stark sind, und unsere Wissenschaft, vor allem aber die Philosophie und die Religionen zeichneten ein negatives Menschenbild. Heute haben wir erkannt, dass dem Menschen im Grunde nichts Böses innewohnt, sondern dass sich alle „bösen Handlungen“, aber auch Worte und Gedanken, aus an sich gesunden und berechtigten Grundbedürfnissen ableiten. Das Böse stellte sich als das nicht entwickelte Gute heraus. Diese Ansicht brauchte lange, um sich in der Menschheit durchzusetzen und wir sind noch immer nicht vollständig damit zu allen durchgedrungen.

Zu allen Zeiten gab es ein Ideal des Menschen. Im Mittelalter war es der religiöse Mensch, in der Renaissance der denkende Mensche, im 19. und 20. Jahrhundert der ökonomische Mensch, sowie in manchen totalitären Staaten der heroische Mensch. Dann widersetzte sich die Menschheit weitestgehend einem neuen „Idealtypus“ des Menschen. Die gebrannte Menschheit wollte nichts mehr davon wissen und suchte in der „Selbstverwirklichung“ das Heil, nachdem das Heil in der Gesellschaft so grandios gescheitert war. Eine zeitlang sah es so aus, als ob ein Voranschreiten der Menschheit nicht möglich sei, als ob der Mensch sich nur als Einzelner weiter entwickeln konnte, und dies nur dadurch zu erreichen war, dass jeder mit all seinen Kräften sich nur um sich selbst kümmerte. Endlich stellte sich aber doch heraus, dass „Selbstverwirklichung“ kein brutaler Egoismus sein konnte. Heute wissen wir, dass der Mensch umso mehr er selbst wird, je sozialer er ist. Die Entwicklung des Individuums, wie auch des Kollektivs, läuft nur über eine dichtere Vernetzung der Menschen, über eine intensivere Durchdringung der einzelnen Wesen und ihres Bewusstseins. Das ist das Paradox des Homo Sapiens. Je mehr er dem großen Ganzen dient, je mehr er sich verbindet, dem folgt, was das Christentum „Nächstenliebe“ nennt, desto weiter schreitet er auch voran. Die Entwicklungslinie nach vorne ergibt sich erst, wenn der Mensch zuerst in die „Breite“ gegangen ist und sich mit seinesgleichen zu organisieren hat. Dies konnten unsere Vorfahren lange nicht erkennen. Selbstverwirklichung durch Altruismus, durch Dienst am Menschen, durch Dienst an der Schöpfung? Das schien unmöglich. Es widersprach der historischen Erfahrung. Es sah so aus, als ob gerade die Skrupellosesten, diejenigen, die sich am wenigsten um ihresgleichen kümmerten, am meisten Erfolg hatten.

Endlich rangen wir uns trotz aller Zweifel dazu durch ein neues Ideal zu formulieren. Dabei sahen wir vor das Problem gestellt, dass bisher Ideale meist aus Ideen entstanden, die in der Theorie wunderbar aussahen, aber nur wenig mit dem Menschen selbst zu tun hatten. Wir wollten keinesfalls eine Definition finden, die dem Menschen widersprach. Das Ideal des Menschen sollte aus der Natur des Menschen selbst entnommen werden. Doch was war die Natur des Menschen? Eine ewige Frage, die die Menschen seit jeher beschäftigt hat. Doch welche Irrwege war man dabei gegangen? Aristoteles glaubte etwa, weil er Menschen beobachtete, die Sklaven waren, daraus ableiten zu können, dass es Menschen gäbe, deren Natur es sei Sklaven zu sein. Einen solchen Unsinn würde heute niemand mehr vertreten und doch handelte der alte Grieche nicht unredlich. Konnte man die wahre Natur des Menschen überhaupt erkennen? Lange hatte die Menschheit die Suche danach aufgegeben, die Antworten darauf waren zu widersprüchlich, wie auch bei den Wahrheiten. Deshalb begnügte man sich mit dem Relativismus. Dieser war zwar unbefriedigend, aber er schien doch die beste Herangehensweise zu sein, um den Fortschritt selbst nicht zu gefährden und in gefährliche Dogmen zu verfallen.

Die Forschungsausgaben zur Erkundung der Natur des Menschen wurden sehr stark erhöht und bald stellen sich Erfolge ein. Ein Großteil der Wissenschaften, von der Psychologie, der Soziologie, der Philosophie, bis hin zur Juristerei, trugen wertvolle Beiträge bei, die letztendlich in einem neuen Ideal gipfelten. Dieses sollte der gesunde Mensch sein. Dies hörte sich nicht besonders spektakulär an und manche meinten man hätte Geld zum Fenster hinaus geworfen. Doch zeigte sich bald, welchem Irrtum solche Skeptiker unterlagen. Der gesunde Mensch ist jener, der weder neurotisch, noch psychotisch ist, noch an irgendeiner Persönlichkeitsstörung leidet, beziehungsweise eine Tendenz in eine solche Richtung hat. Er ist ein Mensch der authentisch ist und keine Rolle spielt, der freieste aber zugleich der sozialste aller Menschen ist. Er zeichnet sich durch drei wesentliche Charakterzüge aus: freies und umfassendes Bewusstsein, Spontaneität und die Fähigkeit zu echter und tiefgehender Intimität. Der Mensch wird als grundsätzlich gut aufgefasst. Das heißt nicht, dass das Böse heute verschwunden ist, sondern, dass wir einen anderen Umgang damit pflegen. Wir sehen es nun als Mangel an Erkenntnis und Weisheit an, nicht als die Ursache einer dunklen Kraft, die in der Welt wirkt.

Die dritte Leitlinie, die uns in die Zukunft führte war der Glaube und damit die Religionen. Dies überraschte einige, denn so glaubt man noch im 20. Jahrhundert, dass Glauben für den modernen Menschen gar nicht nötig, ja vielleicht gar nicht mehr möglich sei oder zumindest eine Beleidigung für den Verstand. Die Religion hat seit jeher die Menschen darin organisiert empathisch zu sein und hat dazu beigetragen, dass größere soziale Gruppen entstehen konnten. Freilich wurde sie oft dort zum Problem, wo sie die eigenen Gläubigen enger aneinander schmiedete und ihnen eine Gruppenidentität gab, aber sich von anderen abgrenzte und sogar zum Kampf gegen die Andersgläubigen aufrief. Dies hatte zu viel Kritik an den Religionen geführt und mancher glaubte gar der Weltfriede sei darin zu finden, die Religionen abzuschaffen. Glücklicherweise ist dies nicht gelungen und wir sehen heute, dass gerade diese dritte Leitlinie noch wichtiger ist als die beiden anderen. Wir haben durch tiefere Erkenntnisse auf der Evolution erkannt, dass die allem zugrunde liegende Kraft jene ist, die man seit jeher Gott genannt hat. Wir haben auch herausgefunden, dass das gesamte All auf einen konvergenten Endpunkt zusteuert, das letzte Glied in einer Reihe von Evolutionsstufen, welches selbst außerhalb der Schöpfung selbst steht, aber mit seinem Geist das gesamte Universum seit Anbeginn durchzieht. Wir sahen auch, dass dieser Endpunkt kein theoretischer „kalter“ Punkt ist, sondern eine persönliche Kraft. Wir konnten so die Jahrtausende alte Dichotomie von Gott und Mensch auflösen. Wir sahen, dass wir zwar alle eins mit Gott sind, dass wir selbst aber nicht Gott sind, sondern dieser alles durchdringt und als endgültige absolute Entität in all seiner Herrlichkeit außerhalb des Allseins steht und erst nach Erreichen des Punktes am Ende, indem alles konvergiert, geschaut werden kann. Freilich wissen wir nicht wie die letzte Phase aussehen wird, niemand vermag sich dies auch nur in Ansätzen vorzustellen, doch sind wir uns gewiss, dass diese unsere Phase, die der Noogenese ,die letzte sein wird – das ist jedenfalls der Standpunkt des Jahrs 2050.

Jeder Mensch muss nach seinem Gewissen handeln, deshalb ist eine Gewissensentscheidung auch zu respektieren. Es gibt deshalb heute immer noch Atheisten, wenn ihre Zahl auch viel geringer ist, als noch vor ein paar Jahrzehnten. Die Welt ist eindeutig religiöser geworden, dabei aber trotzdem offener. Das war kein Widerspruch, denn die Religionen sahen ihren wahren Zweck darin, die Menschen auf dem Weg zum Endpunkt allen Seins zu begleiten, die Sinnfrage nach dem Leben zu beantworten und den Ursprung und das Ende zu erklären, obwohl dies für immer außerhalb der Sphäre des durch die Wissenschaft Erklärbaren bleiben muss. Wir fanden heraus, dass für einen Gläubigen eine psychologische Notwendigkeit besteht zu glauben. Dieses Argument wurde lange von Atheisten verwendet, um den Gläubigen vorzuwerfen, sie machten es sich gemütlich in ihrem Glauben, sie glaubten nur, weil ihnen dass Seelenfrieden gäbe. Das ist zwar richtig, aber trotzdem ein Ad-hominem-Argument, es trägt nichts zur Lösung der Frage nach dem Übernatürlichen selbst bei. Dasselbe gilt aber ebenso für den Atheisten. Auch er glaubt nicht an das Übernatürliche, weil ihm genau dies seinen Seelenfrieden gibt. Somit hätten wir eine Pattsituation. Auch haben wir herausgefunden, dass der Glaube oder Unglaube sehr stark davon abhängt, wie das Verhältnis zum eigenen leiblichen Vater sich gestaltet. Es ist sehr schwer an Gott zu glauben, wenn der eigene Vater mangelhaft war, im Sinne von unzuverlässig, ein Tyrann, Abhängiger, Versager und dergleichen. Oft zeigt sich, dass die Ablehnung Gottes, im Grunde eine Ablehnung des eigenen Vaters darstellt. Die Untersuchung der Lebensgeschichte von bekannten Atheisten (Schopenhauer, Nietzsche, Feuerbach et. al.) zeigt dies deutlich. Doch heute sind die Kämpfe in diesem Bereich kaum mehr vorhanden. Wissenschaft und Glauben respektieren sich gegenseitig und keiner versucht mehr den anderen herabzuwürdigen oder gar „abzulösen“. Im Wesentlichen herrscht zwischen Glauben und Unglauben Frieden. Und ich persönlich bin darüber ganz besonders froh, denn ich bin einerseits gläubiger Christ, andererseits auch begeisterter Wissenschaftler (Evolutionist) und ich wollte nicht gezwungen werden mich zwischen einer der beiden zu entscheiden. Es käme mir vor, als ob mir ein Teil meiner selbst aus der Brust gerissen würde.

Aus der Sicht früherer Jahrzehnte mag es seltsam erscheinen, dass ich hier so wenig über Politik, Umwelt, Soziales und die Wirtschaft schreiben. Sie sind zwar immer noch wichtig, doch weitaus nicht mehr in dem Ausmaß, wie wir es zu Beginn dieses Jahrhunderts noch vorfanden. Das Leben wird heute viel mehr durch Prinzipien, als durch einen überbordenden Wulst an Gesetzen und Vorschriften bestimmt. Die Politik hatte letztendlich doch noch den Mut auf Herrschaft zu verzichten und immer mehr in die private Hand zu legen. Nachdem der Mensch heute hauptsächlich vom Miteinander und von der Sorge für sich und seinen Nächsten motiviert wird, wurden viele Bestimmungen, die den Menschen vor dem anderen schützen sollten, die Versorgung von Benachteiligten und die Sorge für den Nachwuchs regelten, überflüssig oder stark vereinfacht. Als Beispiel könnte man die Kindererziehung nehmen. Diese ist heute Angelegenheit einer größeren Gemeinschaft, nicht nur der Eltern und des Kindergartens. Kein Kind wächst heute in Isolation auf. Auch wurde erkannt, dass weder die traditionelle autoritäre, noch die Lassez-faire-Erziehung (die im deutschsprachigen Raum, als „antiautoritäre Erziehung“ bekannt wurde) die ideale Lösung war. Als endlich eingesehen wurde, wie wichtig eine gute Kindheit für das Leben eines Menschen ist, wurde der Missbrauch von Kindern auf beinahe Null reduziert. Nicht nur die Eltern, sondern jeder, seien es Nachbarn, Freunde oder Bekannte, fühlen sich heute für die Entwicklung jedes Kindes verantwortlich. Und es wäre heute nicht mehr vorstellbar, dass einem Kind eine öffentlich Ohrfeige gegeben würde, ohne, dass sogleich ein Erwachsener, als "helfender Zeuge" eingreifen und sich auf die Seite des Kindes stellte. Autoritäten sind heute nicht verschwunden, auch wenn sich dies einige eine zeitlang wünschten, und es in dem ein oder anderen Staat tatsächlich fast soweit gekommen wäre. Autorität bezieht sich nur auf vorhandene Fähigkeiten und Kenntnisse, niemals mehr auf einen Titel oder eine Position. Es ist dem Menschen von heute beinahe unbegreiflich, wie es sein konnte, dass unseren Vorfahren Ansehen, Ruf und Ehrungen so viel bedeuteten.

Wir lassen es nun nicht mehr zu, dass unsere Gehirne im Lauf der Zeit schwächer werden. Dank neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, können wir für geistige Jugendlichkeit sorgen, bis weit über das 100. Lebensjahr hinaus. Wir haben die ungeheure Leistungsfähigkeit unseres Gehirns nicht nur erkannt, sondern wir haben auch ihre tatsächliche Anwendung ermöglicht und sind nun in der Lage auch schwer degenerierte Gehirne wieder vollständig herzustellen und auf den Stand unserer Zeit zu bringen. So konnten wir auf der einen Seite die Zustände in der Welt verbessern, als uns auch von den Illusionen befreien, die uns so lange gequält hatten. Zwar bildet das menschliche Gehirn immer noch Muster, doch haben wir aufgrund unseres gestiegenen Bewusstseins es geschafft, nicht mehr an diesem Mustern zu kleben, uns selbst nicht über sie zu definieren, und sie jederzeit ohne große Anstrengung und Stress an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Eine interessante Entdeckung wurde erst vor kurzem gemacht: Es gibt konkrete Hinweise darauf, das wir im Bewusstseinsstadium des Menschen (nicht nur des heutigen, sondern auch dem der früheren Jahrhunderte) nach dem Tod weiter leben. Wir wissen, dass das Tier dieses Stadium nicht erreicht und beim Tod wieder zum Materie zurückfällt und zwar auch in Bezug auf seine „Innenseite“. Beim Menschen scheint es sich ganz anders zu verhalten. Wir sind auf Bewusstseinsebene über das Tier hinausgekommen und die höhere Komplexität unseres Geistes scheint ein Fortbestehen über das irdische Dasein hinaus zu haben. Eine Art Geist, der sich von der Materie zu lösen vermag! Wo dieser dann jedoch weiterlebt, darüber haben wir bis dato noch keine Ahnung. Damit könnte sich bald eine teilweise Konvergenz von Religion und Wissenschaft abzeichnen. Vielleicht werden wir Gewissheit über ein Jenseits auch auf wissenschaftlichem Wege noch vor dem Ende aller Tage erhalten?

Im Gesamten kann man sagen, wir haben unsere Sache gut gemacht, auch wenn es oft nicht danach aussah, dass wir wieder Heil aus dem Schlamassel herauskommen würden, in das wir uns selbst hineinmanövriert hatten. Doch die Weiterentwicklung unseres Bewusstseins hat gezeigt, dass heute gerade damit zu rechnen ist, was für unsere Vorfahren noch der unwahrscheinlichste Fall war.

Optimismus ist zur Pflicht geworden, ohne ihn, hätten wir in der Vergangenheit keine Chance gehabt und werden es auch in der Zukunft nicht haben. Pessimismus ist eine Art von Unreife und der Weigerung produktiv an der Schöpfung mitzuwirken. Längst ist der Mensch vom reinen Geschöpf zum Mitschöpfer geworden, ja heute schafft er bereits mehr, als was selbst an ihm an Werk vollbracht wurde. Es ist zwar nicht alles perfekt, doch Vieles ist besser geworden. Die Menschheit hat ein neues Gleichgewicht gefunden und so schreiten wir voran, bis zur nächsten „Geburt“ oder bis zum Ende allen Seins.

Geschrieben am Freitag, den 16. Juli 2010 als hypothetischen Rückblick aus dem Jahr 2050, von einem, der die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts erlebt hat.

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