Jetzt
haben sie mich doch noch erwischt! In der Blüte meiner Jahre, fast noch ein
Jüngling, wurde ich brutal von meinen Wurzeln getrennt – buchstäblich – mit
einer Motorsäge ist das grausame Werk vollbracht worden. Ein letztes Adieu dem
Ort wo meine Wiege stand, wo ich zum ersten Mal das strahlende Blau des Himmels
erblickte und dem lieblichen Gezwitscher der Vögel im Frühling lauschte und wo so
manches Rehlein an mir vorüber lustwandelte. Oh weh mir, ich unglücklichstes
Geschöpf unter der Sonne!
Schon
in manchem Jahr zur selben Zeit musste ich mit Schrecken ansehen, wie sie meine
Kameraden, viele davon Jahrgänger, nach und nach geholt hatten. Herausgerissen
aus dem Verband ihrer Freunde, blieb nur ein hässlicher Stumpf übrig, der uns
Überlebende stets daran erinnerte, was sich hier immer im Spätherbst Leidvolles
aufs Neue zuträgt. Es war immer das
gleiche Martyrium: Stämmige Gesellen mit leuchtenden Helmen ausgestattet
stapften mit groben großen Schritten durch das vorher so friedlichen Wäldchen.
Ihre Waffen, metallen surrende Mördermaschinen mit skapellscharfen, frisch
geschliffenen Stahlketten, schnitten gnadenlos in das zarte Fleisch meiner
Liebsten. Ich hörte sie noch schreien in ihrer Todesqual – dann folgte ein
Stöhnen und Röcheln, das bald verstummte, nachdem sie lieblos auf einen kalten,
harten Anhänger geschmissen wurden. Eine stinkende Wolke aus dem Auspuffsrohr,
das war alles, was noch eine Weile in der Luft stand und von dem Verbrechen an
meinen Kameraden zeugte. Doch über das Jahr, wenn der Frühling auch unsere im
Winter kahlen entfernten Verwandten mit saftigen zartgrünen Blättern ausstattet,
vergaß man was im Jahr zuvor geschehen war. Kam der Sommer, so freute ich mich
stets an meiner Jungend und meiner Kraft und dacht mir nichts Böses mehr.
Und
dann! - Dann kam er, der 24. Oktober, der Tag an dem mein Schicksal zuschlug,
der Tag meiner Entwurzelung. Aber es hat sein müssen, denn nach astrologischer
Meinung müssen Christbäume drei Tage vor dem elften Vollmond im Jahr geschnitten
werden – da hilft nichts, auch wenn’s noch zwei Monate bis zum Weihnachtsfest
sind – umgehauen gehört er – so will es der Aberglaube und da fährt bekanntlich
die Eisenbahn drüber. Ohne Gefühl ging es Ruckzuck: die Säge angesetzt, einmal
kurz zugedrückt und schon fiel ich krachend auf den Boden. Doch erholen konnte
ich mich nicht, wurde ich doch sogleich von groben Pratzen im Würgegriff
mitgezerrt wobei mein zarten Stamm unbarmherzig über viele nackte spitze Steine
im Waldboden gezogen wurde. Ach, ich spüre heute noch den Schmerz in all meinen
Gliedern. Dann kam auch ich auf einen Anhänger, gleich neben einen
Jungendfreund, der noch gute Miene zum bösen Spiel machte. Der Glückliche,
Humor hatte er immer schon gehabt, doch der half ihm nun auch nichts mehr.
Man
meinte, ich müsse nun kühl lagern, bis zum Fest, wo ich meinen großen Auftritt
in einer überheizten, stickigen Stube haben soll, schwer behangen mit
glitzerndem Foltergerümpel, das angeblich Freude bringen soll und eine Zierde
für die Wohnstatt wäre. Mein Schweiß würde lieblichen Tannenduft ins Heim
bringen und für „Atmosphäre“ sorgen, so das allgemeine Gerade. Ha, - wenn das
mal nicht zynisch ist! Doch, was sag ich da? Werde ich es noch erleben dieses
Weihnachten?
Da
lieg ich nun, herzlos hingeklatsch auf grobe
Hartholzplanken, unter das Vordach eines alten Gartenschuppens, umgeben nur vom
Schatten, denn selbst zu Mittag erreicht mich keine der Strahlen der lieben
Sonne, die mich doch jeden Morgen von Kindesbeinen an zärtlich wachgeküsst und
an die ich mich so gewöhnt hatte.
Oh
weh mir, ich armer Tannenbaum, was werde ich noch alles erleben müssen?!