Die
Geschichte, die ich hier erzählen möchte, ist schon vor unerdenklichen langen
Zeiten geschehen – Zeiten, die so weit im Dunkel der Vergangenheit
zurückliegen, dass es längst niemanden mehr gibt, der noch persönlich davon
berichten könnte. So wurde mir nur durch einen glücklichen Zufall diese
Geschichte von meinem Großvater erzählt, der sie seinerseits von seinem Vater
erzählt bekommen hatte … woher dieser sie erfahren hatte, weiß ich nicht –
wahrscheinlich verhält es sich damit ebenso wie bei mir und ihm wurde sie an
einem kalten Winterabend von einem Alten am Ofenfeuer zugetragen.
„In
eben jenen längst vergangenen Zeiten lebte ein gar fürchterlicher Geselle auf
der Alpe Hirschgehren bei Langen (bei Bregenz). Wenn er jemandem etwas zuleide
tun konnte, war er zur Stelle; kam ihm ein fremdes Tier in die Hände, so quälte
er es aus bloßer Freude am Tun und war jemand in Not geraten, so machte er sich
noch einen zusätzlichen Spaß daraus, dass er den armen Zeitgenossen auch noch
genüsslich in aller Öffentlichkeit verspottete. Niemand, auch jene, die ihn von
Kindesbeinen an kannten, konnte sich erinnern, dass der Senn je einem anderen
auch nur eine kleine Liebenswürdigkeit, geschweige denn etwas Gutes, erwiesen
hätte. Er war eben eine catilinarische Natur, einer jener Menschen, die schon
sehr früh mit dem Bösen begonnen hatten und es damit, je älter sie wurden,
immer wilder trieben. Schon früh am Morgen fluchte er, dass selbst die
abgehärtetsten Holzhacker- und Fuhrwerkerohren es nicht hören konnten und die
meisten Dorfbewohner mieden jeden Kontakt, wenn sie nur konnten. Nie ging der
Mann zur Kirche und eine Beichte hatte er schon seit Jahrzehnten nicht mehr
abgelegt.
Jetzt
war es aber mit dem Sennen doch wie verhext. Denn so sehr er auch Menschen
nicht um sich leiden konnte, so sehr er allem Schlechten zugetan war, so sehr
hatte er doch stets unverschämtes Glück! Was er anfasste gelangt ihm: Nie wurde
eines seiner Tiere krank, nie traf ihn selbst irgendein Unglück und zu allem
Überdruss seiner Mitmenschen wuchs auch noch sein Geldbeutel mehr und mehr.
Bald wurden Gerüchte laut, dies habe damit zu tun, dass der Senn einen Bund mit
dem Teufel geschlossen habe, der ihm all diese Wohltaten verschaffen würde.
Solches sagte man freilich nur unter vorgehaltener Hand, denn dem Älpler das
direkt ins Gesicht zu sagen, getraute sich keiner.
Einmal,
es war im Hochsommer, an einem sehr heißen Tag, als gegen Abend hin
schwefelgelbe und schwarze Wolken von der Schweiz her auftauchten und den
Himmel verdunkelten. Die Bauern hatten das Heu gemäht und nachdem es trocken
geworden war, wollten sie es in die Scheunen einbringen. Doch es war zu spät.
Heftiger Donner mit feurigen Blitzen erdröhnte über den Bergen und brachte
einen so schnell einsetzenden Starkregen, dass es keinem mehr gelang auch nur
eine einzige Fuhre Heu sicher unters Dach zu bringen. Nur dem Sennen, der wie
immer den ganzen Tag über faul auf der Haut gelegen hatte, während die anderen
im Schweiße ihres Angesichts sich abgeplagt hatten, hatte ein breites Grinsen
auf seinem Gesicht, das bald in ein schallendes Lachen überging. Denn so die
ersten Tropfen vom Himmel fielen, hatte er in die Hände geklatscht und das
gesamte Heu auf seinen Weiden flog, wie von Geisterhand, in seine Scheune und
füllte diese bis obenhin. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen! Jetzt
war allen klar, dass hier Luzifer am Werk sein musste.
Ein
andermal, es war Mitten im Winter, kurz nach Neujahr, als im Ort drei Häuser
abbrannten und die Familien auf der Straße landeten. Das Brennholz war knapp in
jenem Winter und auch zu Essen gab es nicht gerade viel. Da kaufte der Alpsenn
alles Holz in der ganzen Gegend auf, ebenso fuhr er in alle Nachbarorte und
kaufte alles Fleisch, das er für Geld bekommen konnte. Dann errichtete er auf
einer seiner Wiesen einen großen Scheiterhaufen aus all dem Holz und zündete
ihn unter lautem Gejohle an. Das Fleisch aber gab er den Hunden des Ortes, die
freudig herbeigelaufen kamen. Den Menschen aber gab er nichts, weder vom Holz, noch
vom Fleisch. Er tanzte und lachte gar lustig um das Feuer herum und schrie, ihm
wäre lieber die armen Dorfbewohner müssten allesamt erfrieren, als dass er
ihnen auch nur ein einziges Scheit Holz abgeben würde. Auch wäre es ihm lieber
die Kinder würden verhungern, als dass sie auch nur ein einziges Stückchen
Fleisch von ihm bekämen. Daraufhin packte die Dorfbewohner die Wut und sie
jagten den Senn mit Heugabeln, Schaufeln und Sensen auf seine Alphütte hinauf.
Die
Jahre gingen ins Land. Der Senn wurde alt und eines Tages war seine Stunde
gekommen. Beim Holzholen, auf dem Weg zum Schuppen hinter seiner Hütte, traf
ihn der Schlag. Ein Bauer fand den Leichnam etwas später, wie er so auf der
nackten Erde lag. Man versuchte die Leiche wegzutragen, doch man konnte sie
nicht vom Ort wegschaffen, wie sehr man sich auch anstrengte. Sogar mit sieben
Ochsen versuchte man ihn wegzuziehen – vergeblich. Da wusste man sich nicht
anders zu helfen, als einen großen Kupferkessel zu holen und den Senn in
Weihwasser zu kochen (anheben konnte man den toten Körper offenbar – nur
wegtragen nicht). So konnte er am Ende doch noch auf dem Friedhof begraben
werden. An der Stelle aber, wo den Senn der Schlag getroffen hat, dort wächst
bis zum heutigen Tag kein einziges Gräslein mehr.“
Diese
uns viele andere Sagen bilden einen reichhaltigen literarischen Schatz, über
den das kleine Vorarlberg noch heute verfügt. Sie beinhalten ein tiefes
geistiges Erbe, das es Wert ist auch in Zukunft erhalten zu werden.
Diese
Erzählung basiert im Kern auf der Vorarlberger Sage „Das Grab will ihn nicht„
aus dem Sagenklassiker von Richard Beitl „Im Sagenwald – neue Sagen aus
Vorarlberg“, der 1953 im Montfortverlag, Feldkirch, erschienen ist. Ausformulierungen,
Ausschmückungen und erweiternde Aspekte wurde vom Autor in dichterischer
Freiheit hinzugefügt.
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