Mittwoch, 29. Januar 2014

Der Wahrheitsgeiger

Es tönt ein Lied durch die Gassen;
Da sammeln sich gleich die Massen,
Zu hören, was da zum Besten gegeben,
Welche Botschaft durch die Lüfte will schweben.


"Du sagst ein Wort und tust's doch nicht,
Denkst `s'ist besser wenn's ein andrer richt'!´
Du zeigst dich der Welt voll Güte,
Keiner sieht die Zornesblüte.


Du klatschtst und tratschtst über den Gerechten,
Bei dir selbst gereicht es nur zum Schlechten.
Dein eignes Kind packst du in Watte,
Im Leben bleibt's so auf der Matte."


Unmut regt sich darauf im Volke schnell,
Das gleißend' Licht, es strahlt so hell.
Ins Gesicht steigt die Zornesröte;
"Hier spricht `ne Laus, hier spricht `ne Kröte!"


"Du siehst in der Welt nur, was dir schon bekannt,
Den Verstand hast du schon lange verbannt.
Von Vernunft will ich ohnehin nicht sprechen,
Will deine Gedanken zusammenrechen:


Da seh ich Aberglauben, offene Idiotie,
Neid, Rachsucht, Kleingeist, Minderwertikeit und sieh:
Am liebsten hegst du deine Illusion,
Ein jeder sei wie du, hätt' gleich' Fasson."


"Was erlaubt der sich, dieser Vagabund?!
So hängt ihn auf, stopft ihm den Mund!"
Doch noch ist das Lied nicht erloschen,
Noch tut sich auf große Goschen*.


"Die allgemeine Meinung, sie versklavt euch alle;
Zieht euch raus aus dieser tyrannischen Falle!
Glaubst du frei zu sein, so sieh doch ein:
Bist Herdentier, bist sogar ein Schwein!


Die Wahrheit hältst du doch gar nicht aus,
Konflikte scheust du, bist doch `ne Laus.
Deine Gerechtigkeit heißt Neid,
Dem Glücklichen wünschst du nur Leid!"


"Jetzt ist das Fass übergelaufen!
Auf! Der Kerl soll im Bach ersaufen!"


So geht's dem Wahrheitsgeiger von alters her,
Am Ende ist sein Schicksal stets sein Verzehr.



* österreichisch für "Mundwerk".